Der Stop des Hamsterrads

Wenn die sicher geglaubte Sicherheit wegfällt, steht alles still. So auch in mir, als mein Dienstvertrag nicht verlängert wurde. Gleichzeitig war dieser Moment aber auch der Start meiner Freelancer-Karriere.

Wenn die sicher geglaubte Sicherheit wegfällt, steht alles still. So auch in mir, als mein Dienstvertrag nicht verlängert wurde. Mich quälte das Gefühl, die Zügel meines Lebens nicht straff in der Hand zu halten. Trotzdem brauchte ich diesen Schubser, um als Copywriter in Wien durchzustarten.    

Nine to five for Life 

Seit 2016 lief mein Leben durchgängig im 40-Stunden-Rhythmus. Noch vor Abschluss meines Studiums der Publizistik an der Uni Wien sicherte ich mir ein Praktikum bei Ecker & Partner, einer großen PR-Agentur in Wien. Nach sechs Monaten wechselte ich zu ikp Wien als PR-Assistant, mit einem Tag Pause zwischen den Jobs. Nach fast zwei Jahren und dem Aufstieg zum Junior Consultant folgte im August 2019 der nächste Wechsel: Ich begann als Content Creator im Data & Media Center der Wirtschaftskammer Österreich. Zwei Wochen mussten reichen, um eine mentale Grenze zu ziehen zwischen dem, was war, und dem, was folgte. Das lag in erster Linie an mir, denn alle Entscheidungen auf meinem Weg traf ich bisher selbst. Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, wäre die Zeit zwischen den Wechseln etwas länger gezogen worden. Bereut habe ich bis jetzt keinen der Wechsel – und das erfüllt mich mit Zuversicht.

Was ich bereue – jedoch erst mit der nötigen Distanz – ist die kritiklose Akzeptanz des 9 to 5 Jobs als Naturgesetz. Die Überzeugung, dass gute Arbeit nur dadurch entsteht, fix definierte Zeitspannen an einem Ort abzusetzen, teile ich heute nicht mehr. Glücklicherweise ist auch bei vielen Entscheidern die Erkenntnis angekommen, dass sich das Unternehmen nicht in Luft auflöst, wenn aus dem Home Office gearbeitet wird. Dafür hätte es aber nicht unbedingt eine Corona-Krise gebraucht – ich hätte einfach früher auf Dolly Parton hören sollen, die dem 8-Stunden-Tag bereits Anfang der 80er Jahre eine Absage erteilte.

“Workin‘ 9 to 5, what a way to make a livin‘
Barely gettin‘ by, it’s all takin‘ and no givin’”

Dolly Parton

“2020 wird unser Jahr”

Das erste Jahr im Newsroom der WKÖ war aufregend, rastlos, und, wie zu erwarten war, sehr stressig. Illusionen machte ich mir keine, denn ich wusste, was Kommunikation im wirtschaftspolitischen Spannungsfeld bedeutet. Als ich nach dem ersten halben Jahr über die Weihnachtstage nach Hause flog, spürte ich die Erschöpfung. Wie ein geisterhaftes Echo hallt das klirren der Sektgläser auf der Sylvesterfeier seitdem in meinen Ohren nach. “2020 is gonna be our year”. Nichts hätte mich auf das vorbereiten können, was ab März 2020 auf Österreich und die Welt wartete. Der Corona-bedingte Wahnsinn endete nicht in der Kurzarbeit, sondern in einer Contentkaskade, die täglich an Geschwindigkeit aufnahm. Das erste Jahr in der Wirtschaftskammer fühlte sich an wie eine Fahrt mit der wilden Maus im Wiener Prater – die kurz vor der zweiten Runde abrupt endete. 

Die Entscheidung fiel an einem verregneten Freitag im Juni, zwei Monate vor der geplanten Verlängerung. Meinem Naturell entsprechend nahm ich die Botschaft gefasst auf und erging mich nicht in Rechtfertigungen und Argumentationen. Bereits am Heimweg rasten die Gedanken, war der Zeitpunkt für die Jobsuche doch angesichts einer furchtbaren Wirtschaftskrise ungünstig gewählt. Die nächsten Tage verbrachte ich damit, über mich und meine Zukunft nachzudenken und Möglichkeiten auszuloten. Dabei geschah etwas seltsames: Mit jeder Stunde wandelte sich die Panik in ein Gefühl der Erlösung. Der Wunsch nach Selbstbestimmung, nach Flexibilität und Unabhängigkeit meldete sich lautstark aus dem Hinterkopf.  Der Gedanke, mich als Copywriter in Wien selbstständig zu machen, reifte in mir.

Die Hoffnung auf Selbstbestimmung

Ich blickte zurück an das vergangene, äußerst stressige Jahr. Das Gefühl des Gefangenseins und der Alternativlosigkeit im Corona-Lockdown. Mir wurde klar, dass die Freiheit, sich für einen Job entscheiden zu können, nicht gleichbedeutend mit der Freiheit ist, um das eigene Leben zu steuern. So fasste ich Hoffnung – einen Ausblick auf Selbstbestimmung, auf neue Eindrücke und auf neues Wissen. Deshalb zog ich einen Schlussstrich und heftete ein neues Ziel vor meine Augen: Die Unabhängigkeit als Freelancer.

Wie sehr mich die mir abgenommene Entscheidung befreite, zeigte sich erst in den kommenden Tagen und Wochen. Es fühlte sich an, als würde ein zu enges Korsett Naht für Naht von meiner Brust entfernt werden. Als ich begann, mich ernsthaft mit dem Projekt des Freelancer-Daseins zu beschäftigen, spürte ich schnell die Lust, Neues zu lernen. Die Vorfreude darauf, neue Menschen zu treffen. Die Motivation, neue Skills zu erlernen und die bestehenden weiterzuentwickeln. Den Willen, für mich einzustehen und meine Fähigkeiten in Eigenregie zu verkaufen. Natürlich gibt es auch die zweifelnden Gedanken und die Momente, in denen alles zu viel und unüberwindbar erscheint. Jedoch wusste ich sehr schnell eines mit Sicherheit: Wenn ich es jetzt nicht versuche, werde ich es nie versuchen.

Was mir half, waren Gespräche mit Freunden und Bekannten, von denen viele Perioden der Arbeitslosigkeit durchlebten. Im Grunde ist das für 20- und 30-somethings keine Besonderheit, da die oftmals prekären, befristeten Arbeitsverhältnisse nichts anders zulassen. Ein guter Freund erzählte mir vom Unternehmensgründungs-Programm des ams (Arbeitsmarktservice), welches bei dem Start in die Selbstständigkeit beratend und monetär unterstützt. Das klang spannend und vielversprechend, weshalb ich es mir als Etappenziel setzte, mir einen Platz in diesem Programm zu sichern.

Willkommen im Dschungel

Vor einigen Jahren kursierte ein Tweet in den Medien. Eine Schülerin der Oberstufe fasste spöttisch zusammen, dass sie nach 12 Jahren Schule Gedichte in mehreren Sprachen analysieren könne, aber keine Ahnung von Steuern hat. Diese Anekdote sagt viel über das Mindset aus, welches an deutschen und österreichischen Hochschulen vorherrscht. Der Weg scheint für viele junge Menschen vorgezeichnet – vom Abschluss über die Festanstellung über die Rente bis zum Lebensabend. Die wenigsten denken an die Gründung als eine ernsthafte Alternative zum 9 to 5 Lebensentwurf. Als ich begann, mich mit der Selbstständigkeit als Copywriter zu beschäftigen, bekam ich eine Ahnung davon, warum. Anmeldungen, Versicherungen, Geschäftsadressen und Steuernachzahlungen überfordern zu Beginn, denn niemand bereitet einen darauf vor. Zum Glück gibt es eine große Online-Community, und ich merkte schnell, dass viele Menschen vor ähnlichen Entscheidungen stehen. Junge Menschen, die genug vom Hamsterrad haben, die sich verwirklichen wollen und die kreative Ideen haben. Vor allem zeigen diese Erfahrungen, dass “einfach machen” der beste Weg ist, um sich diesen Herausforderungen zu stellen. 

Sehr inspirierend und lehrreich fand ich am Anfang meines Weges den DIGITALFREI Podcast und den Freelancer Podcast. Beiden Formaten ist ähnlich, dass sie regelmäßige Interviews mit Gästen aus dem Freelance- und VA-Bereich führen. So lernte ich quasi im vorbeifahren – ich höre Podcasts am liebsten auf dem Fahrrad – wie andere Menschen den von mir angestrebten Lebensweg beschritten haben. Das ist spannend und motivierend, und zeigt vor allem, dass ein Selbstbestimmtes Arbeiten durchaus als Alternative zum 9-5 Job funktionieren kann.