Bin ich gut genug? Kann das im Grunde nicht jeder? Erzähle ich den Leuten überhaupt etwas Neues?
Mein Hirn
Solche und andere Zweifel zucken auch mir regelmäßig durch den Kopf. Gerade als Freelancer ist man besonders anfällig für dieses Gedankenkarussell: Wer für jeden Aspekt des eigenen Business verantwortlich ist, vergleicht sich gerne mal mit anderen, vermeintlich erfolgreicheren Vertreterinnen und Vertretern seiner Zunft.
Den Selbstzweifeln liegt ein weitverbreitetes Phänomen zugrunde. Das Impostor Syndrom löst bei vielen Menschen das Gefühl aus, nicht gut genug für die Anforderungen der eigenen Arbeit zu sein. Die Überzeugung, dass jeder Erfolg mehr auf Glück denn auf die eigenen Skills zurückzuführen sind. Und die nagenden Gedanken, dass man sich selbst und seinen Kundinnen und Kunden etwas vorspielt.
Doch was ist das Impostor Syndrom überhaupt?
Das Oxford Dictionary beschreibt das Impostor Syndrom wie folgt:
The persistent inability to believe that one’s success is deserved or has been legitimately achieved as a result of one’s own efforts or skills.
Oxford Dictionary
Ein Meme bringt den Kern dieses Irrglaubens auf den Punkt.
Man fühlt sich fehl am Platz und hat das Gefühl, der einzige schräge Vogel in einem Raum voller Profis zu sein.
Manchmal trifft das natürlich zu. Wer sich versehentlich in eine Konferenz mit internationalen Nuklearphysikern einklinkt, hat vermutlich wenig intelligentes zum Besprechungsthema beizutragen. Doch in den meisten Fällen ist diese Selbstwahrnehmung Blödsinn.
Das perfide ist, dass man sich dieser Unlogik des eigenen Denkens oft bewusst ist. Und trotzdem spürt man den nagenden Zweifel, sich selbst und die eigenen Fähigkeiten kleinzumachen. Was lässt sich dieser Teufelskreis also durchbrechen?
Die Hochstapler-Psychologie
Die amerikanische Speakerin und Autorin Dr. Valerie Young hat dem Impostor Syndrom nicht nur ein Institut, sondern ein ganzes Buch gewidmet. In “ The Secret Thoughts of Successful Women: Why Capable People Suffer From the Imposter Syndrome and How to Thrive in Spite of It” kategorisierte sie die vermeintlichen Hochstaplerinnen (dem Buchtitel zum Trotz gibt es auch Männer, die darunter leiden) in fünf Kategorien: den Perfektionisten, den Superheld, das Naturtalent, den Solisten und den Experten.
- Der Perfektionist quält das stetige Gefühl, dass ihre Arbeit noch besser sein könnte. Dadurch setzen sich absurd hohe Ziele und leiden unter Selbstzweifeln, wenn sie diese nicht erreichen können. Dieser Typus neigt auch zum Control-Freak und möchte jeden Aspekt der Arbeit möglichst genau überwachen.
- Der Superheld strebt danach, ständig Höchstleistung zu zeigen und sich selbst und anderen zu beweisen, dass sie ihren Erfolg auch verdient haben. Die Bestätigung, die sie durch ihre Arbeit erhalten, kann hier in Mechanismen der Sucht umschlagen.
- Auch das Naturtalent neigt dazu, ihre Ansprüche bis ins fantastische hochzuschrauben und sich unmögliche Fristen zu setzen. Wie auch Perfektionist fallen sie in ein Loch, wenn sie ihre eigenen Vorgaben nicht erreichen konnten.
- Der Solist tut sich mehr als schwer damit, andere um Hilfe zu bitten. Probleme und Herausforderungen werden am liebsten alleine gemeistert, egal wie lange dafür gebraucht wird. Denn das Fragen nach Hilfe kommt einem Versagen gleich und führt erst recht zum Gefühl, ein Betrüger zu sein.
- Der Experte beginnt kein Projekt, ohne jeden Aspekt akribisch durchgeplant zu haben. Panik entsteht dann, wenn sich ein Problem auftut, welches im Vorfeld nicht bedacht wurde. Menschen, die zum Expertentum neigen, messen Ihre Fähigkeiten auch gerne daran, wie viel Wissen sie sich in Kursen und Fortbildungen aneignen können.
Wenn ich mir diese Liste anschaue, finde ich mich wohl am ehesten in der Rolle des Solisten mit perfektionistischen Einschlag wieder. Gleichzeitig hilft mir schon was Wissen, dass ich zu solchen Denkmustern neige, um mich in die Realität zurückzuholen. Und wenn es mal sehr arg wird, helfen mir die folgenden Techniken.
5 Tipps gegen das Impostor Syndrom
Mach Dir bewusst, dass nicht jeder ein Profi ist
Um beim Meeting zu bleiben: Wie oft saßt du schon in einer Besprechung, deren Sinnhaftigkeit sich durch das ausufernde Geschwafel mancher Beteiligten nicht gleich erschließt? Wahrscheinlich wartet das durchschnittliche Berufsleben mit einigen solcher “This could have been an E-Mail”-Momenten auf.
Doch wie oft fällst Du durch inhaltsloses Gerede und grenzwertige Äußerungen auf? Wenn Du dich gewissenhaft vorbereitest und Dich in deinem Metier auskennst, vermutlich eher selten. Und wenn Du dich nicht auskennen würdest, hättest du als Freelancer keine Einladung zum Meeting erhalten – und diese Erkenntnis sollte eigentlich reichen, um sich im Meeting nicht deplatziert zu fühlen und die eigene Expertise in eigenen Wortmeldungen zum Ausdruck zu bringen. Dieser Mut zum Aufzeigen ist der wohl wichtigste Schritt, um das Impostor Syndrom zu bekämpfen.
Gib Dir einen Pep Talk in Zeiten des Zweifels
Es gibt immer Momente, an denen ich an meinen Skills zweifle und mich selbst infrage stelle. Was mir in solchen Situationen hilft, ist ein Blick auf mein Kundenportfolio oder die Liste der Projekte, die ich bereits erfolgreich abgewickelt habe. Meistens sind das auch keine einmaligen Geschichten: Kundinnen und Kunden empfehlen mich auch weiter, was im Rückkehrschluss natürlich heißt, dass sie nicht ganz unzufrieden waren.
Deshalb rate ich dazu, die Negativspirale des Impostor Syndrom schon im Moment des Aufkeimens zu ersticken und sich einen realistischen Überblick darüber zu verschaffen, was Du zuletzt richtig gut gemacht hast. Und dir vielleicht auch selbst ganz bewusst zu sagen, dass du gut bist in dem, was du machst.
Vergleiche Dich nicht ständig mit anderen
Let’s face it: Du bist wahrscheinlich kein Tim Ferris, der (angeblich) das Solopreneur-Game im Alleingang umkrempelt. Vielleicht bist du auch (noch) nicht der Copywriting-Star, der sich vor Aufträgen nicht mehr retten kann. Du bist Du, und das alleine reicht schon. Viele von denen, die nach außen hin sehr erfolgreich sind (siehe Punkt 1), kämpfen vielleicht auch mit ähnlichen Gedankenmustern. Aber da du nicht in Menschen durch das Betrachten ihres Instagram-Feeds hineinblicken kannst, kannst du nicht wissen, wie die Lage wirklich aussieht – und es bringt nichts, Zeit damit zu verschwenden.
Konzentriere dich lieber auf Dich und auf deine eigenen Fähigkeiten. Arbeite an Dir und überzeuge Menschen mit deiner eigenen Persönlichkeit davon, mit dir zusammenzuarbeiten. Das bedeutet nicht, dass du nicht von anderen lernen kannst. Aber dein Fokus sollte stets darin liegen, dich nicht mit anderen zu vergleichen, sondern dich selbst zu verbessern.
Halte Deine Skills scharf und bilde dich weiter
Selbstverständlich heißt der zuletzt beschriebene Tipp nicht, dass man sich auf seinen Erfolgen ausruhen sollte. Jede Chirurgin und jeder Anwalt besucht regelmäßig Seminare und Fortbildungsveranstaltungen, um das eigene Wissen auf der Höhe der Zeit zu halten. Das mache ich auch, denn ich möchte meinen Kundinnen und Kunden keine veralteten Techniken und Systeme empfehlen. Und letztendlich hilft mir das auch dabei, immer neues Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten und mein Wissen zu schöpfen. Natürlich gilt es auch hier, das Mittelmaß zu finden: Die manische Suche nach Weiterbildungsmöglichkeiten alleine wird das Problem nicht lösen.
Trotzdem nutze ich Phasen der Flaute dazu, um Neues zu lernen und bereits Erlerntes zu hinterfragen. Ob Youtube-Video oder Udemy-Kurs: Das Wissen liegt zwar nicht auf der Straße, ist jedoch nicht mehr als zwei Mausklicks entfernt. Und der Besuch von Veranstaltungen und Talks bietet oft auch die Gelegenheit, andere Menschen aus deiner Branche zu treffen. Vielleicht ergibt sich ja auch die ein oder andere Kooperation dadurch – und dieser Ego-Boost ist der Todfeind des Impostor Syndrom.
Lüfte Deinen Kopf aus
Last, but not even close to least: Wer nur arbeitet, versinkt schnell im Chaos und im Stress. Natürlich gibt es die heißen Phasen, die einem geistig und körperlich alles abverlangen. Und das ist auch gut, denn (positiver) Stress spornt auch zur Höchstleistung an. Aber wenn dieser Zustand zur Normalität wird, bleibt nicht viel Kraft, um auch abseits der Arbeit zu sich selbst zu finden.
Ich nutze meine Freiheit als Freelancer oft und gerne dazu, um Zeiten für mich zu finden, in denen andere an ihren Arbeitsplatz gebunden sind. Und wenn ich bei einer mittäglichen Laufrunde im Augarten von den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings umschmeichelt werde, weiß ich einfach, dass meine Entscheidung die richtige war. Kombiniert mit dem Wissen, dass im Office auch noch der ein oder andere Job auf mich wartet, fühlt sich das ziemlich fantastisch an.
Mein abschließender Tipp ist also dieser: Zehre ab und zu von den Früchten deiner Arbeit. Ob Retail-Therapy oder die Entscheidung, heute einfach im Home Office zu bleiben, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Genieß die Glückshormone, die dadurch durch dein System schießen. Und mach dir bewusst, dass DU, nur du allein, über dich und deine Entscheidungen verfügst. Zumindest mir hilft das, um mein Dasein als Freelancer immer wieder aufs Neue wertzuschätzen.